Kommunalwahl

Kommunalwahl

Wenn Ihr diese Zeilen lest, befindet sich Münster kurz vorm Kommunalwahlfinale in Form der Stichwahl zum Oberbürgermeister zwischen Markus Lewe und Peter Todeskino. Und, egal, wie die Nummer ausgeht und ganz gleich, wer demnächst mit welcher Mehrheit im Rat regiert: Kein Kirchturm wird umfallen und die Autos werden auch irgendwie weiter fahren.

Es empfiehlt sich daher, einmal die Käseglocke über unserer privilegierten Existenz zu lüften und (zumindest virtuell) über den Tellerrand zu krabbeln, um einmal die Nase in den Wind zu halten, der uns von Südwest entgegenweht. Wir schauen uns die Situation in einer Münster vergleichbar großen Stadt im Ruhrgebiet an: Gelsenkirchen.

Nehmen wir beispielsweise den Wahlbezirk 1202 in Gelsenkirchen-Bismarck, innerhalb unseres Regierungsbezirks quasi der gesellschaftliche Antipode zu Münster. Hier das Ratswahlergebnis von der anderen Seite der Erde:

© Quelle: Stadt Gelsenkirchen

36,4% für die AfD bei 11% Wahlbeteiligung – da reibt sich der geneigte Beobachter die Augen und fragt sich nur noch, was davon schlimmer ist. Nun könnte man zur eigenen Beruhigung nachrechnen und sagen, dass ja „nur“ 36 von 901 Wahlberechtigten, also 4%, den Nazis ihre Stimme gegeben haben, damit ist jedoch die Frage, warum nur jeder Zehnte überhaupt wählen gegangen ist, noch nicht beantwortet.

Schauen wir auf das stadtweite Ergebnis für Gelsenkirchen:

© Quelle: Stadt Gelsenkirchen

12,9% für die AfD bei 41,5% Wahlbeteiligung – auch diese Zahlen taugen für keinen Eintrag auf dem Ruhmesblatt der Stadtgeschichte.

Die typischen – und meiner Überzeugung nach wie vor gültigen – soziologischen Erklärungsansätze für den AfD-Boom vor allem in Ostdeutschland (wen das interessiert, lese die ein oder andere Veröffentlichung von Dr. Alexander Yendell aus Münster, der erklärt das Phänomen ziemlich schlüssig) greifen hier wohl nicht.

Wer einmal durch Gelsenkirchen-Bismarck, -Schalke oder -Rotthausen fährt, sieht und erlebt kein Multikulti-Kumpelidyll in der schmucken, kernsanierten Öko-Bergmannssiedlung, sondern heruntergekommene Häuser, Beschäftigungslosigkeit, Integrationsprobleme, Werteerosion und Bildungsferne bei der Jugend, Frustration, Perspektivlosigkeit und Armut. Hier ist die Arbeitslosenquote mit stadtweit 15% (Quelle: Agentur für Arbeit) höher als in jeder ostdeutschen Großstadt. Hier sahnt die AfD ab, weil die Leute seit Jahrzehnten einfach sitzengelassen werden und als Folge, wenn sie überhaupt wählen gehen, den Rattenfängern hinterherlaufen. In Teilen von Duisburg, Oberhausen, Mülheim, Essen, Herne und Bochum sieht es nicht wirklich anders aus. Dortmund bekommt seine rechte Szene anscheinend seit Jahren schon nicht mehr in den Griff.

Je länger die Politik den Niedergang dieser Städte ignoriert, desto größer wird der Abstand zu den blühenden Regionen im Lande. Wer einmal die Entwicklung der Bevölkerungszahlen der letzten dreißig, vierzig Jahre von Gelsenkirchen und Münster in Relation setzt, sieht, dass Münster um ungefähr die Anzahl Einwohner gewachsen ist, die Gelsenkirchen im gleichen Zeitraum verloren hat.

Die langfristige Folge dieser Erosion ist ein bereits im Gange befindliches komplettes  politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Abhängen ganzer Regionen, das ab einem gewissen Punkt irreversibel sein wird und als unmittelbare Folge die Bildung einer nach eigenen Gesetzen lebenden, durch und durch kriminellen Parallelgesellschaft nach sich zieht. Und ich spreche hier vom Ruhrgebiet, mit gut fünf Millionen Einwohnern (die Metropolregion Rhein-Ruhr zählt doppelt so viele) größter Ballungsraum Deutschlands.

Als anschauliches Vorbild für das Ende einer derartige Entwicklung kann man problemlos die Erfolgsgeschichte der quasi unangreifbaren Mafia im Süden Italiens hernehmen, deren Existenz allein durch jahrhundertelanges, fortwährendes staatliches Versagen auf ewig zementiert ist.

Ein alter Schulfreund von mir wurde neulich Polizeidirektor in einer großen Stadt im Ruhrgebiet. Die Geschichten,  die er von seiner täglichen Arbeit erzählt, lassen sich nur unzureichend damit erklären, was die Boulevardmedien verkürzt und plakativ „Clankriminalität“ nennen. Er spricht bereits vom baldigen Totalversagen der Zivilgesellschaft in seinem Amtsbereich. Diese Aussage mag etwas zugespitzt erscheinen und ist vielleicht auch teilweise mit seiner berufsbedingten Perspektive zu erklären. Große Sorgen macht sie mir dennoch.

Da hilft auch das möglichst häufige und beschwörende Absingen des Steigerliedes nicht. Von „Glück auf!“ spricht im Pott schon lange niemand mehr.

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